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Sunday 13 January 2008

Deutsch Lernen / Learning German >> Part 2 >> DER FORTSETZUNGSROMAN Teil 1

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Ich rufe Marc zurück und sage ihm, dass ich eh um halb drei zur Arbeit muß und er meinen Wohnungsschlüssel unter der Fußmatte findet. Als ich unten am Briefkasten vorbeikomme fällt mir ein, dass ich mal wieder den Brief an meine Eltern vergessen habe. Er liegt seit Tagen versandfertig auf meinem Schreibtisch und ich hoffe ganz ehrlich, dass er da noch lange liegen bleiben wird: Der peinliche Bittbrief, in dem es explizit um Geld geht. Geld, das ich nicht habe, weil ich seit Monaten mehr ausgebe als ich verdiene. Ich weiß, dass ich da in guter Gesellschaft bin aber das beruhigt mich nicht wirklich.

Von Mai bis Oktober hatte ich noch einen prima Job als Aufsicht im Technischen Museum nur war der leider befristet. Zur Zeit knechte ich viermal die Woche bei HAPPY VIEW VIDEO, wo ich mir bei abwechselnden Früh- und Spätschichten für sechs Euro pro Stunde die Beine in den Bauch stehe, wobei der Museumsjob nicht nur besser bezahlt war, ich hatte dort vor allen Dingen meine Ruhe. An meinem neuen Arbeitsplatz läuft dagegen den ganzen Tag - voll aufgedreht und fest eingestellt - Radio 104.6 mit den tollsten Hits der 70er, 80er, 90er, und dem Besten von Heute. Wenn man da nach acht Stunden rauskommt, dröhnt einem der Schädel, als hätte man eine Vietnamesische Wassertropfenfolter hinter sich. HAPPY VIETNAM VIDEO. Das Tragen eines amerikanischen Stahlhelms mit Tarnbezug und ironischer Eddingbeschriftung wurde mir letzte Woche allerdings ausdrücklich verboten. Zumindest während der Arbeitszeit. Charly surft nicht. Was HAPPY VIENAM VIDEO von bestimmt allen anderen Videotheken unterscheidet, ist die klare logistische Trennung von Videoannahme und Videoausgabe. Videoannahme, der eindeutig bessere Zeitvertreib, weil man ab und zu mal herum rennen kann um die Magnetschildchen wieder unter die ausgestellten Leerhüllen zu kleben, macht ausschließlich Herr Degenhardt, der nicht nur Geschäftsführer und Erfinder schwachsinniger Annahme/Ausgabekonzepte ist, er scheint auch in dem Laden zu leben. Kein Mensch kann auf Dauer immer früher kommen und später gehen. Beim Vorstellungsgespräch war er ganz angetan von mir, aber so nach und nach stellt er jetzt wohl fest, dass er mich eigentlich nicht ausstehen kann. Er hockt da also den ganzen Tag zwei Katzensprünge von mir entfernt, verfolgt jede meiner Bewegungen mit kritischem Blick und verflucht sich insgeheim dafür, keine Frau mit dicken Titten eingestellt zu haben. Der tragische Held unserer Geschichte (ich), paranoid & gefangen in einer Z w e i m i n u t e n z e i t s c h l e i f e :

Die kleinen, speckigen Magnetschildchen vom Kunden entgegennehmen > zum großen Stahlregal hinter mir latschen > die Kassetten aus dem großen Stahlregal hinter mir heraussuchen > die Magnetschildchen an die Stelle der herausgeholten Kassetten kleben > zurück zum Tresen > die Karte mit dem Strichcode entgegennehmen > die Karte scannen > enter drücken > die Karte zurück auf den Tresen legen > aus dem Fach unter mir die erforderliche Anzahl Hüllen herausholen > die Kassetten in die Hüllen legen > scannen der Kassetten > enter drücken > schließen der Hüllen > das Papier aus dem Rechnungsdrucker links von mir abreißen und mit der lesbaren Seite in Richtung des Kunden zeigend, auf den Tresen neben die Videos legen > die Rechnungssumme auf dem Bildschirm rechts von mir ablesen > dem Kunden den Betrag nennen > das Geld entgegennehmen > die Kasse öffnen > Wechselgeld herausgeben > checken, ob die beiden Kulis noch auf der Theke liegen > die unterschriebene Rechnung vom Tresen nehmen > zweimal falten > "Auf Wiedersehen" sagen und sie, während schon der Nächste vor mir steht, in den Mülleimer neben dem Drucker werfen.

Genau wie bei Aldi, nur im Stehen. Und die ganze Zeit über muß man kommunizieren, denn rechts neben mir befindet sich noch eine zweite Video-Ausgabe und meine vier, in Wechselschicht rotierenden Mitarbeiter können das Maul nicht halten. Ein Quasselmarathon. Ohne Ausnahme. Nicht eine Minute. Immer reden, reden, reden, die ganze Zeit blablablablabla und immer in unnatürlicher Lautstärke, weil man ja gegen Radio 104.6 anbrüllen muß. Ich arbeite in einer Dorfdiscoaldizeitschleifenstehvideothek, in der niemand tanzt. Wie schön war dagegen die Zeit als ich in einer lustigen Uniform, weise lächelnd, durch die Hallen des Technischen Museums flanieren konnte. Der klassische Mac Job, bei dem man ohne Streß in aller Ruhe seinen Gedanken nachhängen kann. Das mache ich nämlich gern und langweilig ist mir dabei nie.

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